MigraNetz-Stellungnahme zum Integrationsgesetz-Entwurf der Landtags-CDU

Die CDU-Fraktion im Thüringer Landtag hat zu Jahresanfang beschlossen, ein Landesintegrationsgesetz zu erarbeiten. Im Juli hat sie uns ihren Vorentwurf des Fraktionsarbeitskreises für Migration, Justiz und Verbraucherschutz mit der Bitte um Stellungnahme zugeleitet. Unsere Position zu diesem Entwurf:

Grundsätzlich sind auch wir der Ansicht, dass ein Landesgesetz neben dem Bundesgesetz und anderen bereits existierenden Regelungen sinnvoll sein kann, da gerade auf Landesebene wichtige Weichenstellungen für eine gelingend Integration erfolgen, insbesondere bildungspolitisch.

Anders als andere Bundesländer, die von dieser Gestaltungskompetenz durch Gesetze seit 2010 Gebrauch gemacht haben, verfügt der Freistaat Thüringen jedoch über ein aktuelles und modernes, gerade erst aus dem letzten Jahr datierendes In­tegrationskonzept, in dem aufgrund einer Lagebeschreibung Ziele und Maßnahmen definiert und in einen Aktionsplan umgesetzt sind. Von daher erschließt sich uns die Notwendigkeit eines Integrationsgesetzes nicht, das unseres Erachtens hinter die dort gesetzten Regelungsstandards zurückfällt und überdies von maßgeblichen Stimmen der Fachwissenschaft formulierte Anforderungen an eine zeitgemäße Integ­rationsgesetzgebung nicht berücksichtigt.

Wir begrüßen den erkennbaren Ansatz des Entwurfs, in Spracherwerb und Bil­dung den Schlüssel für gelingende Integration zu sehen und sich diesem Problem zu widmen; dessen Lösung könnten auch Zielvereinbarungen dienen. Der uns vor­liegende Entwurf orientiert sich offensichtlich nicht an den Integrationsgesetzen der meisten Bundesländer, sondern an dem (mit reduzierter Perspektive) des Freistaats Bayern, fällt aber sogar hinter dieses in inakzeptabler Weise zurück, was nur an den Bestimmung des Ordnungswidrigkeitenrechts erläutert sei: Während dort in § 14 eine an jedermann adressierte Norm statuiert ist, die mit Geldbuße bis zu 50.000 € geahndet werden kann, will der Thüringer Entwurf explizit ein Quasi-Sonderstraf-recht für Migranten schaffen (‚Täterstrafrecht‘ in § 15 „Wer als Migrant […] kann mit Geldbuße bis zu fünfzigtausend Euro belegt werden“).

Auch dort, wo es um Kindertageseinrichtungen geht, wird allein der Zugewan­derte als Problem gesehen: Kitas „sollen dazu beitragen, die Integrationsbereitschaft zugewanderter Familien zu fördern“. Die mitunter fehlende Offenheit und Integrati­onsbereitschaft einheimischer Familien, deren Ängste und Vorurteile, die diese wo­möglich auf ihre Kinder übertragen, wird gar nicht als Problem erkannt, um das sich Kitas ebenfalls zu kümmern hätten. Im sprachlichen Duktus des Entwurfs wird la­tent Migranten mit dem Generalverdacht der Integrationsverweigerung begegnet. Im Gutachten des Zentrums für Integrationsstudien an der TU Dresden im Auftrag des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Verbraucherschutz, Geschäfts­bereich Gleichstellung und Integration („Bedarf, Voraussetzungen und Umsetzungs­möglichkeiten eines sächsischen Integrationsgesetzes“) heißt es: „Ein Integrations­gesetz sollte nicht einseitig Forderungen an eine gesellschaftliche Gruppe richten und dabei die gesamtgesellschaftliche Dimension der Integration außer Acht lassen. Adressat eines Integrationsgesetzes ist die gesamte Gesellschaft nicht nur die Zu­wanderer.“

Genau dieser Ansatz, der nach Ansicht der die sächsische Landesregierung be­ratenden Wissenschaftler vermieden werden sollte, zieht sich jedoch permanent durch den uns zugeleiteten Gesetzesentwurf. In diesem sehen wir ein sowohl wis­senschaftlich wie auch in der politischen Praxis unhaltbares, einseitiges, eher auf Assimilation ausgerichtetes Integrationskonzept, in dem allein dem Zuwanderer An­passungsleistungen an eine fiktive statische Gesellschaft abverlangt werden, ohne dass gesehen wird, dass Integration auch die Aufnahmegesellschaften verändert. Dass Zuwanderer wie Einheimische nicht gesetzwidrig handeln dürfen, steht selbst­verständlich außer Frage; jedoch enthält der Entwurf etliche diffuse Begriffe, die et­wa aus den ewigen, nie beendeten und nie zu beendenden Debatten darüber, was „deutsche Leitkultur“ sei, bekannt sind, jedoch rechtlich unbeachtliche Leerformeln darstellen: „in der heimischen Bevölkerung vorherrschen Umgangsformen“ (Pflicht, Thüringer Bratwurst zu verzehren und samstagabends Volksmusiksendungen des Mitteldeutschen Rundfunks zu schauen und das Rennsteiglied mitzusingen?); „Ach­tung der Werteordnung“; „sich … zu unserem Land und seinen Werten zu beken­nen“; „Werte und Normen der abendländischen Kultur“; „deutsche Geschichte“ (hin­gegen hält Professor Jürgen Osterhammel der Kanzlerin zum 60. Geburtstag, dem Trend der Geschichtswissenschaft folgend, einen Vortrag über die Notwendigkeit von Globalhistorie); „regeltreues Verhalten“ (das offenbar etwas anderes als geset­zeskonformes Verhalten sein soll); „allgemein übliche Mimik und Körpersprache“ usw.

„In einer zunehmend heterogenen, in Lebensstilen und -situationen stark aus­differenzierten Gesellschaft ist die Existenz einer einheitlichen Kultur ebenso wenig ohne Weiteres anzunehmen wie einheitliche, von allen Mitgliedern der Gesellschaft geteilte Wertvorstellungen.“ (Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integrati­on und Migration, 16. Januar 2017 an Rechtsausschuß des Landtags von Schleswig-Holstein)

Die Chance, durch Gesetzgebung Integration als Querschnittsaufgabe und der dienende Kooperations- und Koordinationsstrukturen zu verankern, sehen wir im Entwurf trotz einiger guter Ansätze (z.B. das „bürgerschaftliche Engagement von und für Migranten“ zu stärken) nicht realisiert.

Der Vorschlag, Integrationsvereinbarungen abzuschließen, ist hierzulande nicht aus Gesetzesumsetzungen, sondern nur als wiederholt vorgebrachtes Wahl­kampfthema (und aus Österreich) bekannt. In Deutschland gab es nur ab 2011 ein Modellprojekt mit 18 Kommunen. Die seinerzeitige Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Frau Staatsministerin Böhmer, stellte am 24.04.2013 den Abschlußbericht zum Modellprojekt „Integration verbindlicher machen - Integrationsvereinbarungen erproben“ vor. Gezeigt hatte sich, dass die er­folgreiche Arbeit der Migrationsberatungsstellen im Einzelfall eher davon abhängt, dass es gut funktionierende Kooperationsbeziehungen zu unterschiedlichen Akteu­ren gibt, als davon, ob auf einem Blatt Papier die Unterschrift des Migranten steht. Insofern können Zielvereinbarungen bei guten sonstigen Bedingungen im Einzelfall durchaus nützlich sein, jedoch gilt generell: „Regulative Politik kann Klarheit bezüg­lich normativer Erwartungen schaffen, aber es handelt sich letztlich um eine Politik, welche die Einwanderer zum Objekt macht. Integration lässt sich nicht erzwingen. Im Policy-Mix einer auf Erfolg ausgerichteten Migrations- und Integrationspolitik bleiben Kooperation und Persuasion erforderlich. […] Integrationsgesetze können ergänzen, aber sie sind der Sache nach keine Alternative zu Integrationskonzepten.“ (Prof. Dr. Andreas Blätte, Regelungen der Bundesländer in Bezug auf Integration / Expertise für den Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Mig­ration (SVR), 9/2017.)